White Paper
Dipl. Ing. Thomas Finsterwalder, Juni 2020
Konventionelle Karabiner weisen einen Schnappverschluss auf, für dessen reibungsfreie Funktion ein gewisses Spiel erforderlich ist. Je nach Größe des Spiels tritt Formschlüssigkeit auf der Seite mit dem Verschluss erst bei einer Last von 30 bis 150 kg ein. Dabei wird die dem Verschluss abgewandte Seite relativ hohen Spannungen ausgesetzt. Durch die bei Flugsportkarabinern während des Flugs permanent auftretende Schwingbelastung besteht dort die Gefahr der Materialermüdung. Folgend werden die Hintergründe der Problematik beleuchtet und die Festigkeitsüberprüfung einiger derzeit gebräuchlicher konventioneller Gleitschirmkarabiner mit einer einheitlichen Methode beschrieben. Es zeigt sich, dass Zeitfestigkeit nicht immer gegeben ist, und es in Bezug auf die Bauform sehr unterschiedliche Wege gibt, um diese zu erreichen.
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Fast alle der derzeit im Flugsport verwendeten Verbindungsglieder zwischen Pilot und Fluggerät sind Karabiner mit Schnappverschluss, wie sie aus dem Bergsport bekannt sind. Diese Karabiner sind beliebt, weil sie einfach in der Handhabung sind und die Automatik-Sicherung des Schnappers eine Fehlbedienung weitgehend ausschließt. Auch ihr geringes Gewicht bei hohen Bruchlasten und die kleinen Abmessungen machen sie für Drachen- und Gleitschirmflieger attraktiv. Hinzu kommt, dass die Fertigung solcher Karabiner relativ kostengünstig ist. Auch wir stellen konventionelle Karabiner her, obwohl wir parallel dazu bereits seit 1993 alternative Flugsportkarabiner entwickeln.
Es sollte jedoch beachtet werden, dass Karabiner beim Fliegen nicht nur statischen, sondern auch dynamischen Belastungen ausgesetzt sind, welche auf Dauer zu Materialermüdung führen können. Zwingend würde diese nur dann eintreten, wenn die kritischen Spannungen exzessiv überschritten würden, was durch den eintretenden Formschluss am Schnapper verhindert wird. Es bleibt eine gewisse Eintrittswahrscheinlichkeit, die abhängig von Schnapperspiel und Zahl der Lastwechsel nur langsam gegen Null tendiert. So ist es auch zu erklären, dass bisher nur einige Fälle bekannt geworden sind, in denen Karabiner im Gebrauch auf Grund von Materialermüdung gebrochen sind, obwohl konventionelle Karabiner im Flugsport seit den 1970er Jahren hundertausendfach eingesetzt werden.
Die Gefahr liegt jedoch darin, dass ein Dauerschwingbruch in der Regel plötzlich und ohne Vorwarnung auftritt.
Dauerfestigkeit ist in der Technik, insbesondere der Luftfahrt, eigentlich Standard. Auf Grund der Schnapperspiel-Problematik gibt es bis jetzt aber noch keinen dauerfesten, kompakten konventionellen Karabiner. Dies liegt auch daran, dass es schwer ist, einen niedrigen Formschlusspunkt zu garantieren. Es wurden lediglich Zeitfestigkeiten von 5 Jahren erreicht. Allerdings birgt die Zeitfestigkeit das grundsätzliche Problem, dass es einem Karabiner nicht anzusehen ist, wie viele Lastwechsel er bereits ertragen hat. Das Gefahrenpotenzial einer zu langen Benutzung scheint vielen Piloten zudem nicht bewusst zu sein. So ist erst Anfang 2020 wieder der Fall eines Dauerschwingbruchs in der Slowakei bekannt geworden, bei dem die zulässige Gebrauchsdauer des Karabiners überschritten war (siehe lu-glidz Blogpost „Tauschen, bevor es bricht“ vom 20.06.2020).
Da eine verbindliche Prüfnorm bislang fehlt, wenden die Hersteller bei der Bestimmung einer Zeitfestigkeit momentan unterschiedliche Prüfverfahren und Sicherheitsbeiwerte an. Dass dies zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führt, zeigen die nachfolgend beschriebenen Dauerschwingtests aktuell gebräuchlicher Gleitschirmkarabiner, die wir im Zuge der Entwicklung unserer eigenen Flugsportkarabiner zu Vergleichswecken durchgeführt haben.
Die Prüfung erfolgte jeweils mit unbenutzen Karabinern gemäß der weiter unten beschriebenen Methode. Es wird nicht nur ersichtlich, dass die Zeitfestigkeit von 5 Jahren gemäß dieser Methode teilweise nicht erreicht wurde, sondern auch, dass es in Bezug auf die Bauform sehr unterschiedliche Wege gibt, um Zeitfestigkeit zu erreichen.
Alukarabiner des taiwanesischen Herstellers CIC, wie er aktuell in verschiedenen Gurtzeugen verbaut wird.
Gewicht: 60 g
Bruchlast statisch: 2.000 DaN
Dieser Karabiner ertrug 2.000 Schwingungen mit Oberlast 252 DaN
und brach anschließend nach 68.000 Schwingungen mit Oberlast 115,4 DaN. Eine zeitfeste Auslegung auf 5 Jahre für den Gleitschirm-Monobetrieb ist nicht gegeben. Das zu große Schnapperspiel in Verbindung mit einer eher breiten Gurtauflage führte zum Überschreiten der zulässigen Spannungen.
Alukarabiner der italienischen Fa. Camp, wie er aktuell in Gurtzeugen von Woody Valley verbaut wird.
Gewicht: 46 g
Bruchlast statisch: 2.000 DaN
Dieser Karabiner ertrug 2.000 Schwingungen mit Oberlast 252 DaN und anschließend 5 Mio. Schwingungen mit Oberlast 115,4 DaN. Der sehr leichte Alukarabiner hat eine eher breite Gurtauflage. Da er relativ flexibel ist, tritt der Formschluss am Schnapper schon bei geringer Last ein. Eine Zeitfestigkeit von 5 Jahren für den Monobetrieb ist gegeben.
Alukarabiner „Forsas“ der deutschen Fa. Edelrid, wie er aktuell in Gurtzeugen der Fa. Advance verbaut wird.
Gewicht: 51 g
Bruchlast statisch: 2.300 DaN
Der Karabiner ertrug 2.000 Schwingungen mit Oberlast 252 DaN und anschließend
5 Mio. Schwingungen mit Oberlast 115,4 DaN. Bei diesem relativ steifen Karabiner tritt der Formschluss eher spät ein. Auf Grund der extrem schmalen Gurtauflage ist bei diesem Karabiner aber trotzdem eine Zeitfestigkeit von 5 Jahren für den Gleitschirm-Monobetrieb gegeben.
Karabiner aus Edelstahl von Supair, wie er bis heute verfügbar ist.
Gewicht: 132 g
Bruchlast statisch: 2.400 DaN
Die Messungen im Jahr 2005 wurden noch mit einer geringeren Schwingbelastung durchgeführt. Dieser Karabiner ertrug 1 Mio. Schwingungen mit einer Oberlast von nur 40 DaN und brach anschließend bei ca. 740.000 Schwingungen von nur
50 DaN. Der gemessene Formschluss lag bei 81 DaN. Um eine Zeitfestigkeit zu erreichen, müsste der Formschluss bei weniger als 50 DaN eintreten. Da Stahl eine dreifach höhere Steifigkeit als Aluminium hat, ist es für konventionelle Stahlkarabiner besonders schwierig, einen niedrigen Formschlusspunkt zu erreichen. Auch bei zwei weiteren Tests im Jahr 2005 mit geschlossenem Schnapper war die erforderliche Zeitfestigkeit von 5 Jahren für den Monobetrieb nach der hier beschriebenen Methode nicht gegeben.
Finsterwalder-Charly Titanalkarabiner
Der „Snaplock“ aus Titanal, wie er von uns seit 2009 für verschiedene Gurthersteller produziert wird.
Gewicht: 76 g
Bruchlast statisch: 3.000 DaN
Der Snaplock ertrug 2.000 Schwingungen mit Oberlast 252 DaN und anschließend
5 Mio. Schwingungen mit Oberlast 115,4 DaN. Da der Test mit offenem Schnapper durchgeführt wurde, ist es nicht relevant, dass der Formschluss bei diesem Karabiner erst spät eintritt. Auf Grund der hohen Festigkeit des Karabinerkörpers ist die Zeitfestigkeit von 5 Jahren für den Monobetrieb jedenfalls gegeben.
Weiterführende Informationen
Was ist die Ursache für Materialermüdung bei konventionellen Karabinern?
Um eine reibungsfreie Funktion des Schnappverschlusses zu gewährleisten, muss ein Spiel zwischen der Nase des Karabiners und dem Schnapper vorhanden sein. Fertigungsbedingt hat dieses Spiel eine nicht genau definierbare Schwankungsbreite. Innerhalb des Spiels wird der Karabiner wie mit offenem Schnapper beansprucht. Das Tragsystem entspricht dem eines offenen Rings. Je nach Größe des Schnapperspiels, des verwendeten Werkstoffs und den Abmessungen des Karabiners tritt die Formschlüssigkeit des Schnappers erst bei einer mehr oder weniger hohen Last ein. Dann besteht das Tragsystem eines geschlossenen Rings.
Bei der Bemessung des Karabiners sind demnach zwei unterschiedliche Lastfälle zu beachten: innerhalb des Schnapperspiels („offener Ring“) und formschlüssig („geschlossener Ring“). Beim Lastfall „offener Ring“ verstärkt der Hebelarm der Gurtauflage des Karabiners je nach dessen Breite die Spannungen auf das 20- bis 35-fache im Vergleich zum Lastfall „geschlossener Ring“. Wegen der hohen Beanspruchung in diesem Lastfall ist es bisher nicht gelungen, einen konventionellen Karabiner mit kleinen Abmessungen unbeschränkt dauerfest zu konstruieren.
Wie kann die zeitfeste Auslegung der Karabiner überprüft werden?
Für eine zeitfeste Auslegung von maximal 5 Jahren ist es erforderlich, die Festigkeit durch Dauerschwingversuche zu prüfen. Eine eigene Prüfmethode wurde hierfür entwickelt. Grundlage dieser Prüfmethode sind die Erkenntnisse der SincoTec Prüfvorschrift 05781 vom 22.02.2006, die auf Dauerschwingtests verschiedener Flugkarabiner im Jahr 2005 beruht (siehe SincoTec Prüfbericht 05601 vom 13.06.2005):
- Als Dauerfestigkeit (ohne Zugrundelegung von Sicherheitsbeiwerten) für den Lastfall „offener Ring“ (Schnapper offen) wurden für konventionelle Gleitschirmkarabiner Werte zwischen 21 und 90 DaN ermittelt. Die untersuchten Gleitschirm- Stahlkarabiner hatten keine höheren Dauerfestigkeiten als die Gleitschirm- Alukarabiner. Dauerfestigkeit besteht, wenn die Oberlast einer Schwingbelastung bei Stahlkarabinern 2 Mio. Mal und bei Alukarabinern 5 Mio. Mal ertragen wird.
- Formschluss trat bei den untersuchten konventionellen Karabinern erst bei Belastungen von 15,5 bis 214 DaN ein.
- Als Oberlasten beim normalen Gleitschirm-Thermikflug, bezogen auf ein Gesamtfluggewicht von 100 kg, wurden 60 DaN ermittelt. Bei Extremmanövern wurden Werte von 210 DaN gemessen. Die Karabiner sollen im Monobetrieb auf ein Gesamtfluggewicht von 120 kg und im Tandembetrieb auf ein Gesamtfluggewicht von 250 kg ausgelegt sein.
- Die Häufigkeit der Lastwechsel im Normalflug beträgt laut DHV etwa 37 Mal pro Minute. Es wird von einer Anzahl von maximal 2.000 Extremmanövern innerhalb von 5 Jahren ausgegangen.
Aus diesen Erkenntnissen bzw. Annahmen ergibt sich unter Zugrundelegung eines Sicherheitsfaktors von 1,145 für Kratzer und eines allgemeinen Sicherheitsbeiwerts von 1,5 folgender Dauerschwingtest für eine Karabinerprüfung mit geschlossenem Schnapper und eine Zeitfestigkeit von max. 5 Jahren bei Monobetrieb:
2.000 Lastwechsel mit Oberlast 252 DaN, anschließend bei Alukarabinern 5 Mio. Lastwechsel mit Oberlast 115,4 DaN. Bei Stahlkarabinern genügen anschließend 2 Mio. Lastwechsel.
Für eine Zeitfestigkeit von 5 Jahren im Tandembetrieb müssen 2.000 Lastwechsel mit Oberlast 525 DaN und anschließend bei Alukarabinern 5 Mio. Lastwechsel mit Oberlast 240,5 DaN ertragen werden. Bei Stahlkarabinern genügen anschließend 2 Mio. Lastwechsel mit Oberlast 240,5 DaN.
Für den Nachweis der unbeschränkten Dauerfestigkeit nach den allgemeinen Regeln der Luftfahrt bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 1%, müsste der Karabiner für den Monobetrieb die geforderten 2 bzw. 5 Mio. Lastwechsel mit einer Oberlast von 432,8 DaN und für den Tandembetrieb mit 901,7 DaN ertragen.
Downloads zum Thema Dauerfestigkeit:
- White Paper „Gefahr der Materialermüdung bei Flugsportkarabinern mit konventionellem Schnappverschluss“ [PDF, 506 KB]
- SincoTec Prüfvorschrift 05781 "Prüfverfahren zur Auslegung von Karabinerhaken aus Aluminium und Stahl für Hängegleiter und Gleitsegel" vom 22.02.2006 [PDF, 859 KB]
- SincoTec Prüfbericht 05601 "Dauerschwingfestigkeitsversuche an acht Varianten von Flugkarabinern" vom 13.06.2005 [PDF, 504 KB]
- Der Finsterwalder-Charly Pin Lock im Dauerschwingtest (Auszug aus dem SincoTec Prüfbericht 05601) [PDF, 114 KB]
- Dokumentation einiger Dauerschwingbrüche aus den letzten Jahren
- Empfehlungen zu Gleitschirmgurtzeug-Verbindungsgliedern der Fédération Française de Vol Libre (FFVL)